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Präventives Monitoring

Präventives Monitoring


Was sind die Vorteile und Nachteile von Wearables und Apps, die Daten zum eigenen Körper generieren? Worauf müssen sich Arztpraxen in Zukunft in Hinblick auf die Nutzung solcher Tools einstellen? Und wie lassen sich diese Daten zum präventiven Monitoring einsetzen? Darum geht es unter anderem im Workshop von Christian Kunert auf der HCP.digital am 12. Juni 2021. 

Wie helfen Wearables und Apps beim präventiven Monitoring?

Betrachtet man das Jahr 2020, ist es schwierig, nur eine Neuerung als „den“ Fortschritt in der digitalen Medizin zu nennen. Was den Diplom-Sportwissenschafter Christian Kunert jedoch besonders überrascht hat, ist der Einzug der präventiven Medizin in den Alltag. „Screenings, digitale Verarbeitung, Körperanalyse, Messung von Körperwerten: All das ist ja mittlerweile bei vielen Endkunden im Sport- und Trainingsbereich angekommen und wurde durch die Corona-Pandemie noch wesentlich schneller vorangetrieben.“ Durch die Pandemie haben viele Einrichtungen, gerade im Fitnessbereich, geschlossen. So seien teilweise aus der Not heraus viel mehr Apps, Wearables und auch Medizinprodukte entwickelt worden, die statt auf Fachleute auf den Endkunden zugeschnitten wurden. „Ich glaube der größte Fortschritt im Jahr 2020 ist die Tatsache, dass man Produkte, die aus dem Profibereich kommen, auf die Endkunden zugeschnitten und so für diese nutzbar gemacht hat“, erklärt der Fitness- und Gesundheitsexperte.

Die Digitalisierung in der Medizin sieht er auch als eine finanzielle Herausforderung für Arztpraxen. Neben einer Modernisierung der Einrichtung und des Praxismanagements müsse eben teilweise auch in Software und Hardware investiert werden. Als zweite Herausforderung sieht Kunert die erforderliche zeitliche Investition für die Umstrukturierung von Abläufen, die angepasst werden müssen. „Das sind Themen, die vielleicht auch für die Praxismanagerinnen und Praxismanager und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort komplettes Neuland bedeuten. Im Rahmen des Change-Managements müssen daher die Abläufe auch so transparent gemacht werden, dass sich niemand abgehängt fühlt“, betont Kunert, dessen Unternehmen KunertGesundheit Fitness- und Gesundheitszentren berät. 

Präventives Monitoring dank Apps, Wearables und Co.

Eine relativ neue Herausforderung im Jahr 2021 sei, dass viele Patienten mittlerweile mit verschiedensten Tracking-, Blutdruck- oder Herzfrequenzergebnissen ihrer Smartwatch oder diverser Apps in die Praxis kommen. „Und als Arzt oder MFA hier den Überblick zu behaltenwelche Apps und Wearables es gibt und womit ich mich auseinandersetzen muss, das sind sicherlich die weiteren Herausforderungen. Denn ich muss einordnen können, welche Daten wichtig sind und welche nicht.“ 

Theoretisch können all die Parameter, die Patienten nun über ihren eigenen Köper sammeln (Blutdruck, Herzfrequenz, Atemfrequenz, Ruhepuls, Sauerstoffsättigung im Blut etc.), dabei helfen, den aktuellen Gesundheitszustand einzuschätzen. „Und diese Parameter zu bewerten und gegebenenfalls Auffälligkeiten zu entdecken, um frühzeitig beim Auftreten bestimmter Erkrankungen eingreifen zu können, das ist ein ganz wichtiger Fortschritt. Macht man sich diese Daten zunutze, kann man präventiv eingreifen, bevor die Erkrankung überhaupt richtig ausbricht“, erläutert der Experte den Ansatz des präventiven Monitorings mithilfe digitaler Tools. Auch wenn es häufig um das Herzkreislaufsystem gehe, gebe es auch Beispiele zum Muskelskelettsystem: „Es gibt mittlerweile schöne Gadgets, die über die Haltung der Wirbelsäule Auskunft geben und es ermöglichen, sich zum Beispiel über die richtige Haltung am Schreibtisch zu informieren, bevor der Bandscheibenvorfall eintritt.“

Die Einordnung der Daten ist das A und O

Wenn es um den Umgang mit der Fülle an Daten gehe, die Patienten nun mit den neuen Wearables und Apps generieren können, sei zudem Aufklärung sehr wichtig, betont Kunert, der sich bereits seit 25 Jahren mit der Kommunikation im Fitness- und Gesundheitsbereich beschäftigt. „Wenn mir so eine Uhr oder eine Waage zu Hause hunderte von Parametern aufzeigt und ich als Patient wenig Erfahrung damit habe, welche Werte wichtig sind oder wie ich die Werte interpretiere, dann kann das zu Verunsicherungen führen.“ Es sei wichtig, die Patienten darüber aufzuklären, was Normalwerte sind, wo Grenzbereiche liegen und welche wichtigen Auffälligkeiten gegebenenfalls vorliegen, um unbegründete Ängste zu verhindern. „Es gibt so viele unwichtige Daten, die ich gar nicht brauche, und trotzdem orientieren sich viele Menschen daran.“ Was letztlich wichtige Daten sind und was nicht, sollte seiner Ansicht nach breiter in der Öffentlichkeit kommuniziert werden. 

Wer hat das Sagen? Mein Körper oder digitale Tools?

„Es ist ein bisschen Fluch und Segen, was mir solche Wearables und deren Informationen mit an die Hand geben können“, fasst der Sportwissenschaftler das Dilemma zusammen. Es hänge stark von der Persönlichkeit des Patienten ab, ob mehr den getrackten Werten oder dem eigenen Körper vertraut werde. „Es gibt sicherlich Personen, die auf emotionaler Ebene viel eher geneigt sind, auf die Signale ihres eigenen Körpers zu hören. Es gibt aber auch Menschen, die sich sehr stark an den Werten solcher Tools orientieren und sagen: ‚Ich muss heute noch mindestens 500 Schritte machen!‘ oder ‚Ich muss noch so und so viele Kalorien verbrennen!‘, um ihr Tagessoll zu erfüllen.“ Kunerts Ansicht nach ist auch hier eine gesunde Mischung gefragt, um eine Überlastung oder eine zu geringe Anforderung beim Training zu vermeiden. Insbesondere eine Überlastung könne am Ende mehr schaden als nutzen. 

Um einschätzen zu können, was einem selbst beim Training guttut, und zusätzlich aus den vorhandenen Daten die richtigen Schlüsse ziehen zu können, sei jedoch auch Erfahrung wichtig. Die Gefahr sei, dass viele Patienten beim Training auf sich alleine gestellt sind. Kunert, der selbst sowohl als Gesundheitscoach als auch als Berater für Fitness- und Gesundheitszentren tätig ist, empfiehlt daher, sich immer einen Trainer zur Unterstützung zu suchen: „Sei es ein Personal Trainer, sei es ein Physiotherapeut im Gesundheitszentrum, sei es der Sportlehrer im Fitnessstudio: Patienten sollten sich einen Experten suchen, der ihnen auch wirklich hilft, die Daten so zu interpretieren, dass sie beim Training einen gesundheitlichen oder einen leistungsorientierten Nutzen davon haben.“ 

Fort- und Weiterbildung in den Fokus rücken

Christian Kunert hat im Moment noch das Gefühl, dass die Praxen bei der Digitalisierung ein Stück weit allein gelassen werden und auf Eigeninitiative angewiesen sind, was die dramatischen Veränderungen in der digitalen Medizin angeht. Es gebe zwar Überlegungen, das Thema an verschiedenen Stellen mit Fachexpertise zu unterstützen. Langfristig hält der Sportwissenschaftler es z. B. für sinnvoll, neue Berufsbilder, wie den des Prozessmanagers oder der Fachkraft für Digitale Gesundheit zu entwickeln. Auch Inhalte zur digitalen Medizin direkt ins Studium zu integrieren, hält er für einen guten Ansatz. Aber: „Das sind aber bisher Zukunftsvisionen, die noch nicht konkret Einzug gehalten haben.“ Kurz- und mittelfristig solle daher das Thema Fort- und Weiterbildung im Fokus stehen. „Wenn es um Produkteinweisungen geht, gibt es sicherlich Gelegenheiten, über Hersteller von Hard- und Software Inhouse-Schulungen zu machen. Dann muss aber auch die Praxis mit allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewillt sein, an solchen Schulungen teilzunehmen, um letztendlich auch das Know-how, das angeboten wird, entsprechend für die Praxis nutzbar zu machen“, erläutert Kunert. Dies sei wichtig, auch wenn die Zeit gerade bei vielen Ärzten und MFAs ohnehin knapp bemessen ist. Am Ende des Tages möchte die einzelne Praxis schließlich nicht abgehängt werden, was die Digitalisierung angeht. Denn: „Das Thema Digitalisierung wird sicherlich zukünftig ein weiterer Bereich sein, der in die Praxen Einzug hält, und dem Fortschritt darf man sich nicht verwehren“, so der Sportwissenschaftler. 

Der Dozent und Autor sportpraktischer Bücher hebt auch hervor, dass das Thema Datenschutz weiterhin wichtig bleibt: „Jeder muss sich auch 2021 die Frage stellen: Wie kann ich meine komplette Anlage und meine Datenverarbeitung so vor Hackerangriffen von außen schützen, dass die Patienteninformationen auch tatsächlich so geschützt sind, dass der Patient weiterhin vertrauensvoll in meine Praxis kommt?“

Im Rahmen der Veranstaltung HCP.digital wird Christian Kunert über präventives Monitoring und all seine Aspekte sprechen. Er möchte das Thema so transparent machen, dass am Ende des Tages die Möglichkeiten der Betreuung innerhalb einer Praxis oder einer physiotherapeutischen Einrichtung nachvollziehbar sind. „Ich glaube viel wichtiger ist es aber für jeden einzelnen Teilnehmer, bei mir im Workshop selber zu gucken, welche Möglichkeiten es im Bereich präventives Monitoring überhaupt gibt und wie man persönlich diese Möglichkeiten nutzen kann.“ Kunert, der bereits 13 wissenschaftliche und sportpraktische Bücher veröffentlicht hat, möchte seine Expertise so weitergeben, dass der Workshop nicht nur interessant wird, sondern die Teilnehmerinnen und Teilnehmer für sich persönlich direkt Anwendungsgebiete erkennen. 

Weitere Informationen 

Autorin: Tanja Peschel

Datum: Januar 2021

Quellen: Interview mit Christian Kunert, 10.12.2020