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Telemedizin am Praxisbeispiel der VERAH® (MFA- Workshop)

Telemedizin am Praxisbeispiel der VERAH® (MFA- Workshop)


Wie wirkt sich die Digitalisierung auf den Versorgungsalltag in der Praxis aus? Und welche Fortbildungsmöglichkeiten gibt es für MFAs, um ein breiteres Aufgabenspektrum abdecken zu können – auch im Rahmen neuer digitaler Möglichkeiten? Über diese und andere Themen sprechen Prof. Dr. rer. pol. Clarissa Kurscheid und Judith Mollenhauer im Rahmen der Fortbildung HCP.digital am 12. Juni 2021.

Als Versorgungsassistenz die Digitalisierung angehen und die Versorgungspraxis unterstützen

Allein durch die Corona-Pandemie wird das Jahr 2020 den meisten Menschen vermutlich lange im Gedächtnis bleiben. Aus dem gleichen Grund hat sich jedoch auch einiges im Bereich Digitalisierung getan. „Ich hatte ehrlich gesagt im Laufe des Jahres gehofft, dass die digitalen Anwendungsmöglichkeiten, wie es sie in der Medizin schon gibt, einen deutlicheren Durchbruch erhalten“, so Prof. Dr. rer. pol. Clarissa Kurscheid, Gründerin und Geschäftsführerin der figus GmbH, einem privaten Forschungsinstitut für Gesundheits- und Systemgestaltung, das sich als Bindeglied zwischen Versorgungsforschung und gelebter Praxis sieht. Der Professorin für Gesundheitsökonomie und Institutionenökonomie zufolge herrsche immer noch eine große Skepsis, was digitale Möglichkeiten wie Videokonsile angeht. „In Gesprächen sagten uns Ärzte häufig, dass ihnen auch ein Telefon ausreichen würde und sie sofort hören könnten, ob ein Patient krank ist. Deshalb sehe ich, dass sich die digitale Medizin nicht so entwickelt hat, wie es die Pandemie ermöglicht hätte.“

Ohne Akzeptanz keine Digitalisierung

Mit digitaler Medizin gehen immer auch Veränderungen der Abläufe einher. Im Jahr 2021 werden niedergelassene Praxen daher ihren Alltag anpassen müssen, um digitale Anwendungen besser nutzen zu können. Prof. Kurscheid wünscht sich vor allem mehr Offenheit, beispielsweise auch, was die Terminvergabe angeht. „Die über das Terminservicestellengesetz eingeführte Terminservicestelle bräuchte eigentlich doch die Möglichkeit, in den Kalender hineinzugreifen, damit Termine schneller vermittelt werden können“, fordert die figus-Geschäfsführerin. Diese Transparenz und die Notwendigkeit, die Abläufe in der eigenen Praxis kritisch zu hinterfragen, sei eine riesige Herausforderung. 

„Die Digitalisierung bietet die Möglichkeit, bestimmte Abläufe zu vereinfachen und zu standardisieren. Aber umgekehrt muss der Arzt sie natürlich annehmen“, stellt Prof. Kurscheid fest. Die Forschung zeigt, dass diese Akzeptanz altersabhängig ist, daher geht sie davon aus, dass dies bei deutschen Ärzten, die im niedergelassenen Bereich ein Durchschnittsalter von etwa 58 Jahren hätten, „ein mittelgroßes Problem“ darstellen wird. Die Vorbereitung der Ärzte und des Praxispersonals auf die Änderungen im Zuge der Digitalisierung sei zudem nicht optimal, da es viel zu wenige Angebote wie Schulungen gäbe, die die Beteiligten überhaupt in Anspruch nehmen könnten. 

Als VERAH die Versorgungspraxis unterstützen

Eine Fortbildungsmöglichkeit für erfahrene MFAs, die auch unabhängig von der Digitalisierung interessant sein könnte, nennt sich „VERAH“. Der Titel beschreibt eine Versorgungsassistentin bzw. einen Versorgungsassistenten in der Hausarztpraxis und kann als Fortbildung über den Hausärzteverband durchgeführt werden. Mit Ausnahme des Notfallmanagements können alle für die VERAH-Qualifikation benötigten Kurse auch online absolviert werden. Als VERAH, so erklärt Judith Mollenhauer, Wissenschaftliche Mitarbeiterin der figus GmbH, übernimmt man Aufgaben zur Patientenmotivation sowie zur Unterstützung in der Versorgungspraxis, wie beispielsweise durch das Erstellen von Versorgungsplänen, aber auch in der Versorgung der Patienten, wie EKG, Blutdruckmessungen oder Blutabnahmen, sowohl in der Diagnostik und der Therapie als auch in der Vorsorge. 

Vor allem entlaste eine VERAH Ärztinnen und Ärzte dadurch, dass sie Hausbesuche machen kann. „Wir übernehmen derzeit die Evaluation vom Telearzt-Projekt in Hessen, wo die Weiterbildung zur telemedizinischen Assistentin oder zum telemedizinischen Assistenten angeboten wird. Damit kann die VERAH Hausbesuche dann auch telemedizinisch durchführen“, sagt Mollenhauer.

Beim Hausbesuch ist man auch ein Stück weit Seelsorge

„Da die VERAHs sich mehr Zeit für die Patienten nehmen können als der Arzt, der doch sehr getaktet ist in seinem Arbeitsalltag, genießen die VERAHs eine sehr große Akzeptanz bei den Patienten“, so die Wissenschaftlerin. Mehr Zeit bedeute auch, dass die Patienten mehr über sich oder den Familienhintergrund erzählten und die VERAH mehr Informationen bekomme. „Eine VERAH teilte uns mit, dass sie oft bei den Hausbesuchen direkt an den gedeckten Frühstückstisch geladen wurde. Die Patienten freuen sich auf den Termin und die VERAHs sind für sie auch eine Art Seelsorger und Vermittler zwischen den Pflegediensten“, berichtet Mollenhauer. 

Im Vergleich mit dem „Physician Assistant“ als Studiengang hat die Fortbildung zur VERAH eine ganz andere Ausrichtung. Der Assistenzberuf des Physician Assistant sei stark auf die Tätigkeit im stationären Sektor ausgerichtet, so Prof. Kurscheid. Sie glaubt daher, dass der Physician Assistant aufgrund des Curriculums überhaupt nicht für den niedergelassenen Bereich geeignet ist: „Es geht in der ambulanten Versorgung ja um fast seelsorgerische Tätigkeiten und die Patientenkommunikation – und das sind natürlich alles Themen, in denen die MFAs viel stärker und intensiver ausgebildet sind und auch eine andere Routine vorhalten als die doch sehr operationsorientierten Physician Assistants.“ 

Der FiGuS-Gründerin zufolge gibt es derzeit an deutschen Hochschulen unterschiedliche Bestrebungen, die „Community Health Nurse“ als Studiengang zu etablieren und zu entwickeln, deren Absolventinnen und Absolventen die VERAH viel eher ablösen könnten. Prof. Kurscheid sieht dies aber auch als spannende Chance, da so umgekehrt in Zukunft auch die VERAH die Möglichkeit haben könnte, sich weiterzubilden, was für MFAs leider selten möglich sei.

HCP.digital: Als MFA gut für die digitale Zukunft gerüstet sein

Neben Informationen aus den figus-Evaluationsprojekten wie dem Tele-Arzt möchten Prof. Kurscheid und Judith Mollenhauer während des Workshops im Rahmen der Veranstaltung HCP.digital unter anderem auch den Tele-Rucksack vorstellen. Zusätzlich möchten sie auch die Inhalte der diversen Digitalisierungsgesetze anwendungsbezogen vorstellen. „Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erfahren also bei uns, was in den nächsten Jahren tatsächlich auf sie zukommt. Wir möchten ihnen Sicherheit geben, indem wir gezielt informieren“, fasst Prof. Kurscheid ihr Ziel zusammen.  

Weitere Informationen 

Autorin: Tanja Peschel

Datum: Januar 2021

Quellen: Interview mit Clarissa Kurscheid & Judith Mollenhauer (9. Dezember 2020)