Präventives Monitoring mit digitalen Tools
Sind Diagnose-Apps und andere digitale Tools zur Prävention von Erkrankungen eine Konkurrenz für Mediziner oder stellen sie eine Erweiterung der klassischen Medizin dar? Darum geht es unter anderem im Workshop von Dr. med. Alice Martin auf der HCP.digital am 12. Juni 2021. Verstehen, Nutzen und Mitgestalten der digitalen Zukunftsmedizin sind das Anliegen der Co-Founderin von Dermanostic, einer Hautarzt-App.
Telemedizin kann eine hilfreiche Ergänzung zur klassischen Medizin sein. Sie ermöglicht eine zeit- und ortsunabhängige Diagnose für Patienten, die ansonsten einen erschwerten Zugang zu ärztlicher Versorgung haben. Sowohl Videosprechstunden als auch Bild-Text-Verfahren haben durch die Corona-Pandemie einen starken Schub bekommen. Zudem wurde die ärztliche Abrechnung telemedizinischer Leistungen – wie beispielsweise Videosprechstunden – vereinfacht. Das ist eine sehr positive Entwicklung, findet Dr. Alice Martin. Sie ist Ärztin und Mitgründerin zweier Unternehmen, die einerseits im Bereich der digitalen Lehre und andererseits in der Arzt-Patienten-Kommunikation aktiv sind.
Generationsproblem Digitalisierung
Martin, die sich bereits während ihres Studiums mit der Digitalisierung in der Medizin beschäftigt hat, sieht natürlich auch das Problem älterer niedergelassener Kollegen, die keine so hohe digitale Affinität haben. Dazu komme, dass im Moment viele Digitalisierungsschritte in kurzer Zeit vonstattengehen. „Man muss als niedergelassener Arzt die Bereitschaft haben, sich mit solchen Programmen auseinanderzusetzen“, sagt Martin.
Tatsächlich fragen immer mehr Patienten aktiv nach Informationen und der Einbindung digitaler Möglichkeiten. Es besteht also eine gewisse Erwartungshaltung, die von einem Teil der Kliniken und Praxen bereits erfüllt wird. Außerdem, meint Martin, könne die Politik ihre Möglichkeiten noch stärker nutzen, um auf digitale Tools aufmerksam zu machen. Letztlich brauche es einfach Zeit, „bis sich dieser Teil der Digitalisierung im Alltag manifestiert“.
Diagnose-Apps als Konkurrenz für die Mediziner?
Die Frage, ob die Diagnose per App eine Konkurrenz für niedergelassene Mediziner werden wird, entlockt Martin ein Lächeln. Ganz im Gegenteil, erklärt sie: „Solch eine App ist eine Ergänzung. Wir schaffen es damit, dass der niedergelassene Arzt Zeit für die Patienten vor Ort hat und sich nicht mit einfacheren Fällen beschäftigen muss.“
Insbesondere den häufig überlasteten Fachärztinnen und Fachärzten bleibt dadurch mehr Raum, sich ernsthaften Erkrankungen zu widmen. Gleichzeitig wird es Patienten ermöglicht, sich schneller untersuchen zu lassen und bei leicht behandelbaren Erkrankungen rasch ein Rezept zu erhalten. Martin ist überzeugt, dass durch den Einsatz solcher Apps eine noch bessere gesundheitliche Versorgung der Patienten erzielt werden kann.
Die Rolle der Künstlichen Intelligenz
Auch die Künstliche Intelligenz (KI) wird in manchen Bereichen schon heute erfolgreich eingesetzt, zum Beispiel in der Beurteilung von Muttermalen. So gab es 2018 eine groß angelegte Studie, in der deutlich wurde, dass bei der Früherkennung des malignen Melanoms (schwarzer Hautkrebs) die KI besser war als die besten Dermatologen Deutschlands. Für Martin ist dies eine enorme Verbesserung, da KI quasi überall erreichbar ist und jeder niedergelassene Mediziner diese Expertise zu sich holen kann. Aber eine viel wichtigere Frage ist ihrer Ansicht nach, wann Patienten überhaupt bereit sind, ihre Gesundheit in die Hände einer KI zu legen. Aktuell haben wir „ein Hybridmodell aus ärztlicher Kompetenz und künstlicher Intelligenz mit Digitalisierung“.
Wachsende Eigenverantwortung der Patienten
Die Digitalisierung erfordert natürlich auch ein Stück Eigenverantwortung durch die Patienten. Eigenes Monitoring einer Erkrankung, zum Beispiel mittels einer App, die regelmäßig den Blutdruck oder den Blutzucker misst, bedeutet, den Patienten mehr Verantwortung für ihre Gesundheit zu übertragen. Die Verantwortung der Ärzte hingegen liegt in der guten Kommunikation mit den Patienten. Wenn Ärzte ihren Patienten zeigen, wie sie für ihre Gesundheit selbst aktiv werden können, entlastet es die Mediziner und spart Kosten. Martin ist überzeugt von dieser Form der Prävention durch Digitalisierung, betont allerdings, wie wichtig es sei, die entsprechenden Tools zu validieren und zu zertifizieren, um gute Qualität zu erhalten.
Im Workshop von Martin auf der HCP.digital geht es konkret um bereits vorhandene Applikationen und wie man diese sinnvoll in den Praxisalltag integrieren kann. Nach Ansicht von Martin bieten Veranstaltungen wie HCP.digital Ärztinnen und Ärzten eine Möglichkeit in die digitale Welt der Medizin einzusteigen und diese auch für die Zukunft mitzugestalten.
Weitere Informationen
Autorin: Johanna Schmidbauer
Datum: Januar 2021
Quellen:
Interview mit Dr. med. Alice Martin, 01.12.2020
Haenssle, H., et al.: Man against machine: diagnostic performance of a deep learning convolutional neural network for dermoscopic melanoma recognition in comparison to 58 dermatologists. BJD, Editor’s Choice, 2018 Aug 1;29(8):1836-1842
dermanostic GmbH, www.dermanostic.com (Abruf: Januar 2021)