Digitale Anamnese im Wartezimmer
Wie wirkt sich die Corona-Pandemie auf die Digitalisierung der Medizin aus? Müssen Ärzte in Zukunft programmieren lernen? Wie sensibel sind Gesundheitsdaten wirklich? Als Anwalt der Digitalisierung räumt Sebastian Vorberg im Rahmen der Fortbildung HCP.digital mit Vorurteilen in puncto Datenschutz auf.
Noch stehen viele medizinische Entwicklungen wie die digitale Anamnese ganz am Anfang. Inga Bergen, Expertin für Digital Health, ist überzeugt, dass in Zukunft sowohl die Ärzte als auch die Patienten von solchen Veränderungen profitieren werden. Sie findet es interessant zu sehen, wie durch die Corona-Pandemie die Signifikanz digitaler Datenverfügbarkeit im Gesundheitswesen deutlich geworden ist. Die Pandemie habe wie eine Art „Vorspultaste“ auf die Digitalisierung gewirkt.
Die Vision vom digitalen Gesundheitswesen
Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte müssen in der Pandemie eine große Arbeitslast schultern. Zeitgleich müssen sie sich aber auch noch mit Digitalisierungsthemen beschäftigen. Bis der enorme Arbeitsaufwand für die Digitalisierung Früchte trägt, wird es allerdings noch dauern.
Bergen hält Mediziner für extrem motiviert: „Sie gehen durch ein hartes Studium, arbeiten viel und wollen Patientinnen und Patienten wirklich helfen.“ Aber man müsse insbesondere die niedergelassenen Ärzte noch sehr viel besser auf den Wandel in der Medizin vorbereiten. Sie bräuchten eine Vorstellung davon, wie die Ergebnisse dieser Entwicklung aussehen können: „Es ist wichtig, ihnen eine Vision davon zu vermitteln, was wir durch die Digitalisierung im Gesundheitswesen wirklich verändern und verbessern können.“ Das große Ziel ist aus ihrer Sicht, mehr und vollständigere Informationen zur Verfügung zu stellen. Dies kann im Notfall sogar überlebenswichtig werden.
Veränderung bedeutet Aufwand
Die Einführung von digitalen Tools für die einzelnen Praxen bedeutet zunächst natürlich einen Mehraufwand, wie auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) im Bürokratieindex ermittelt hat. Doch grundsätzlich ist jede Veränderung anfangs mit Aufwand verbunden, so lange bis irgendwann Routine einkehrt. Als Expertin für Innovationen im Gesundheitswesen erklärt Bergen: „Bei jedem Veränderungsprozess sieht man, dass ungefähr 60 % der jeweils Betroffenen an der Veränderung interessiert sind und Offenheit dafür zeigen. Ein Drittel bis 40 % sind in der Regel nicht offen für die Veränderungen.“
Sie freut sich, mit Ärztinnen und Ärzten ins Gespräch zu kommen, die an der Digitalisierung interessiert sind: „Ich denke, wir müssen uns auf diejenigen fokussieren, die dafür aufnahmebereit sind.“ Bergen glaubt, dass die Medizin vor einem Paradigmenwechsel steht, bei dem Patienten mit ihren Daten in den Fokus rücken und Ärzte die Chance bekommen, dank guter Datenbasis eine noch bessere Versorgung zu leisten.
Das Wartezimmer der Zukunft
Die digitale Anamnese würde es ermöglichen, dass in Zukunft Informationen einheitlich zur Verfügung stehen, dass Daten strukturiert erhoben werden und direkt in die elektronische Patientenakte einfließen. Auch Daten aus vorherigen Arztkonsultationen und Behandlungen wären dann verfügbar, wodurch sich ein sehr viel umfassenderes Bild vom Patienten ergeben würde.
Digital Health Expertin Bergen ist sicher, dass durch die digitale Anamnese Ärzte in Zukunft auch mehr Zeit für ihre Patienten haben werden. So könnten Patienten schon vor dem Arztbesuch in Ruhe ihre Anamnese ausfüllen und wichtige Informationen zur Verfügung stellen. Die Ärzte wiederum könnten sich besser auf jeden individuellen Fall vorbereiten, weil sie mehr Daten haben. Daten, die aber auch so aufbereitet sind, dass sie nur die für den jeweiligen Arztbesuch relevanten Informationen erhalten.
Außerdem könne die digitale Anamnese dabei helfen, Wartezeiten für die Patienten zu reduzieren. „Meine Hoffnung ist, dass wir in der Zukunft einfach keine Wartezimmer mehr benötigen werden,“ sagt Bergen.
Voneinander lernen
Die Fachfrau hat verschiedene Unternehmen aufgebaut und besitzt ein sehr breites Wissen im Bereich Digital Health. Sie hat die Entwicklung und Zulassung von über 150 digitalen Gesundheitsanwendungen sowie Medizinprodukten auf den Weg gebracht, beispielsweise Anwendungen für die Diagnostik und Onkologie.
Gerne teilt sie ihr Wissen und ihre Perspektive als Unternehmerin und Expertin für Innovationen in der Digital Health Branche. Sie freut sich aber auch über den Austausch mit Ärztinnen und Ärzten und ist stets bereit, Neues von ihnen zu lernen.
Auf der HCP.digital am 12. Juni 2021 wird Inga Bergen in ihrem Workshop „Digitale Anamnese im Wartezimmer“anschauliche Beispiele aus Ländern zeigen, die in der Entwicklung bereits weiter sind. „Es ist immer interessant, zu sehen, wie es woanders schon gemacht wird und dadurch auch ein bisschen Inspiration zu bekommen.“
Weitere Informationen
Autorin: Johanna Schmidbauer
Datum: Januar 2021
Quellen: Interview mit Inga Bergen, 11.12. 2020
Visionäre der Gesundheit, www.visionaere-gesundheit.de (Abruf: Januar 2021)